G E R M A I N E  R I C H T E R

 

 

 

Aktuelles

 

 

Kunstvermittlung

 

Positionen zeitgenössischer Kunst

 

Kleine Kunststunde zu William Kentridge

23.9., 30.9., 7.10. 2025

jeweils 17.30 - 19.00

VHS Schwerte

 

 

Werkpräsentationen

 

 

Statt Land Fluss

"Ich ist nur ein Teil von mir - Ich ist auch eine Andere"

Eröffnung 9.Okt., 2025, 19.00

9.Oktober - 16.November 2025

Stadtmuseum Kamen, Bahnhofstr.21, Kamen

https://www.reflex-nw.de/2025/09/03/statt-land-fluss-ein-ausstellungsprojekt-der-kuenstlergruppe-reflex/

                                                                                                          

                                                                       

                                                                           Graphik zu 500 Jahre Reformation

Künstler illustrieren Luther-Zitate

"Die größte Ehre, die ein Weib hat, ist allzumal, dass Männer durch sie geboren werden."

Gemeindezentrum an der Viktor Kirche

Schwerte, Marktplatz

Dauerausstellung

 

 

Aktuelle Ausstellungsbesuche

 

 

William Kentridge. Listen to the Echo

Folkwang Museum Essen, 4. September 2025 – 28. Januar 2026

Staatliche Kunstsammlungen Dresden, 6. September 2025 – 28. Juni 2026

 

Welch ein sprechender und damit gelungener Ausstellungstitel im Hinblick auf die Botschaften des Künstlers!

William Kentridge erklärt die Aufforderung wie folgt: „Dem Echo zu lauschen bedeutet, offen zu sein für das, was auf einen zukommt… Das Echo ist nicht notwendigerweise ein akustisches, es kann ebenso ein visuelles Echo sein, ein Impuls vielleicht, der sich im Körper spüren lässt, ohne dass man sagen könnte, was genau die Aufmerksamkeit erregt.“

Auf einer Tuschearbeit auf Buchseiten von 2015 „Untitled (Listen for the Echo)“, 380x215cm, stehen am unteren Rand in großen Druckbuchstaben die Worte „LISTEN FOR THE ECHO“, vielleicht als Widerhall der in kleineren Lettern gegebenen Inschrift im Blatt selbst „AS IF I COULD SWALLOW WHAT I HAD JUST SAID“; weitere Bedeutungsträger auf dem Bild: Nelken in einem Einmachglas vor einer groben Mauer. Das Raster der collagierten Buchseiten gibt den Rhythmus der Steine vor.

Welcher Widerhall steckt allein in den Details dieser Arbeit:

  • Wörter, die einmal ausgesprochen sind, können nicht wieder verschluckt werden, sie leben weiter
  • Ein dunkles Gemäuer mit schwärzlichem Fensterloch lässt Fragen nach Gebäudeart und Verborgenem im Inneren aufkommen
  • Die aus Zeitungspapier collagierten Nelkenblüten erinnern an politische Bewegungen, z.B. die Nelkenrevolution Portugals, hier strahlen sie weiß vor dem unheimlichen Fensterrechteck
  • Der provisorisch abgestellte Blumenstrauß vor der Hauswand lässt die Gedanken wandern in Richtung Mahnen oder Gedenken
  • Die vielen Schwarz-Weiß-Töne mit ihren unzähligen Varianten und Kontrasten sind nicht nur sachlich, sondern auch politisch konnotiert, wenn sie wie hier von einem Kritiker der Apartheid ins Bild gesetzt werden

… nur einige der widerhallenden Echo-Gedanken, die spürbar werden können, Impulse, die Kentridge selbst erfährt beim Erfassen seiner Themen und die dann in seinen Werken weiter getragen werden in die Wahrnehmungs- und Erfahrungswelt des Betrachters.

Alles hinterlässt Spuren, nichts vergeht einfach so – selbst ein ausradierter banaler Stein in einer Landschaft auf einem grafischen Blatt hinterlässt einen Grauschleier.

Spürbar wird dieser Tatbestand schon in seinen frühen Kohlezeichnungen und den daraus resultierenden Videos „Drawings for Projection“, in denen nichts verloren geht, auch wenn viel ausradiert, neu überschrieben, verändert, erweitert, umgestaltet wurde. Die Zeichnungen und damit auch die daraus gemachten Filme tragen die investierte Zeit und die staubigen Überreste als Echo in sich.

Die vielen übermalten, überzeichneten, überklebten Buchseiten – sie alle fließen mit ihren Botschaften in die nächste Generation eines neuen Erscheinungsbildes, auch wenn die oberste Schicht dominanter erscheint, wie in dem „Sibyl“- Video von 2019. Nichts ist endgültig, alles befindet sich in einem fortdauernden Strom. Vergangenes wird überschrieben, neue Kontexte kommen hinzu.

 Auch die riesigen handgewebten Mohair-Tapisserien der „Porter“- Serie ziehen ein Echo hinter sich her, so z.B. „Carte Hypsométrique de l´Empire Russe“. Vorlage dazu war das Bild eines Bootes, auf dem viele Menschen während eines Tiber-Hochwassers in Rom 1937 Zuflucht fanden. Das Motiv, aus schwarzem, gerissenem Papier, die beweglichen Teile mit Klammern verbunden, aufgeklebt auf einer europäischen Landkarte des 19. Jahrhunderts - jedes Detail verströmt Bedeutung: grob, in Eile, raumfüllend, nur schattenhaft ahnbar, aber auch wissenschaftlich fundiert, authentisch, realistisch. Das überfüllte Boot auf geographischer Landkarte erinnert an Migrationsströme unserer Zeit. Die Ausführung in riesigen Tapisserien aus kostbarer Mohair-Wolle in wochen- und monatelanger Arbeit erstellt gibt der Aussage etwas Gesetztes, Bürgerliches, Akzeptiertes.

Auch das zum Ausstellungstitel gewählte „Drawing for Self-Portrait as a Coffee-Pot (2 Private Thoughts)“, 2021, 152x208cm, hinterlässt ein Echo im Betrachter. Entstanden während der Corona Pandemie, mit eingeschränktem Wirkungsbereich, ohne die sonst für Kentridge üblichen Kollaborationen, reflektiert der Künstler hier die Herausforderung des Auf-sich-gestellt-seins in seinem Atelier. Die grafische Arbeit zeigt einen nackten älteren Mann mit Hut in nachdenklicher Haltung vor einem großen Megafon in kärglicher Landschaft. Vor einem kleinen grünen Fleck erscheint ein Plakat „2 private Thoughts“ und im rechten unteren Winkel ein Schild „How can one be warm alone“. Der Widerhall der südafrikanischen Landschaft, die vielen aktuellen und vergangenen Einflüsterungen, das private physische Sein und all die vorwärts und rückwärts gerichteten Gedanken – so vieles hallt durch das Bild.

Dabei entsteht keine leicht fassbare, eindimensionale Antwort. Nein, als Betrachtende lauschen wir den Impulsen der gesetzten Zeichen. Lösungen im Sinne von Zeichen-lesen oder Zeichen-entschlüsseln entstehen uns daraus nicht, aber immer wieder Annäherungen an eigene Lebensfragen. Es gibt keine Eindeutigkeiten. Die Wahrheit liegt im Zweifel, so widerspricht Kentridge seinem Doppelgänger in einem Studio-Film, indem er das Gegenteil behauptet, Humor ist dabei Lebenshilfe, diese Unsicherheiten auszuhalten.

 

 

Paula Rego. The Personal and the Political,

Folkwang Museum Essen16. Mai - 7. September 2025

 

Endlich erreichen die Werke Paula Regos (1935 – 2022) auch ein breiteres Publikum in Deutschland, nachdem sie auf der Biennale in Venedig mit einigen Schlüsselwerken eine wichtige Stimme in der Hauptausstellung „The Milk of Dreams“ war – Träume und Albträume aus weiblichen Gedankenströmen.

Schon der Ausstellungstitel verweist auf die Verbindung Biographie – politische  Aussage. Paula Rego durchlebte die ersten 15 Jahre ihres Lebens die persönlichen Einschränkungen und Drangsale der Salazar-Diktatur Portugals, bevor sie in England durch die Möglichkeiten eines freien Lebens zu ihren kritischen Reflektionen fand. Immer ist persönliche Erfahrung der Hintergrund zu allgemeingültigen Aussagen.

So zeigt ein kleines Ölbild „Verhör“, das sie im Alter von 15 malte, eine junge Frau, mittig, auf einem Hocker, ganz in sich verschränkt, verdreht, verschlossen, links und rechts eingerahmt von zwei männlichen Gestalten, die nur frontal bis zum Hosenbund sichtbar sind. Sie scheint in diesem Verhör der übermächtigen Staatsgewalt der beiden Staatsdiener ausgeliefert zu sein. Keine Bewertung, keine Frage nach Schuld oder Unschuld, was sich aufdrängt, ist die Ungleichheit der Möglichkeiten, die Frage nach Macht und Ohnmacht. Diese Machtstrukturen in sozialen Zusammenhängen sind der Boden, auf dem die malerischen Erzählungen Regos sich ereignen.

So auch in der spielerisch anmutenden Serie „Girl and Dog“ aus den 80ern, mittelgroße, leuchtend bunte Tafeln, die alle ein Mädchen mit einem braven Haustier zeigen, in gemeinsamer Aktion. Aber welcher Seelenabgrund verbirgt sich in diesem oberflächlichen Spiel! Krault das Kind dem Hund die Kehle oder setzt es mit dem Rasiermesser zum Schnitt an? Füttert es das Tier liebevoll oder greift es ihm machtvoll mit kräftiger Hand in die Lefzen? Legt es ihm ein Halsband um oder wird es ihn an dieser Kette aufhängen oder erdrosseln? Auch nimmt man diesem körperlich kindhaften Menschen, betrachtet man die Proportionen und die Gesichtszüge, nicht das zarte Alter ab. Hier scheint jemand seine Machtposition auszutesten, der Hund ist aufgrund seiner Erziehung und Sozialisierung im Ausgeliefertsein, naiv und gutgläubig hält er still gegenüber seiner „Meisterin“.

Immer wieder treten Tiere als Verkörperungen menschlicher Zustände, und Eigenheiten   auf. Schon sehr früh entscheidet sich Paula Rego, statt die hässliche Seite eines Menschen ins Bild zu setzen, diese durch zugeschriebene Eigenschaften eines Tieres zu zeigen, als wage sie es nicht, ein menschliches Wesen durch direkte Aussagen zu beleidigen, so z.B. in den frühen Bildern zu den Zuständen der Salazar Diktatur oder auch in der kleinen Kohlezeichnung „Dog Woman“ von 1952, in der eine Frau mit gekrümmtem Rücken, aber Zähne zeigend zu kuschen scheint.

Politisch bedeutsam sind ihre großen Pastell-Bilder von einsamen Frauen nach einer Abreibung. Nichts Genaues wird hier gesagt, der Eingriff wird höchstens durch einen Eimer oder ein Handtuch angedeutet, aber an der Körpersprache und dem Gesichtsausdruck ist ablesbar, in welchem Schmerz und welcher isolierten Verzweiflung sich diese Frauen befinden. Gemeinsam mit einem Partner wurden sie schwanger, aber völlig alleine stehen sie die Folgen durch. Mit dieser Serie unterstützte Paula Rego die politische Bewegung zur Gesetzesänderung beim  Schwangerschaftsabbruch in Portugal. Ihr Blick richtet sich darin nur auf das Leben der Frauen und nicht auf das der ungeborenen Kinder. Das Leid und das Leiden dieser Frauen wird für die BetrachterInnen der Bilder beunruhigend greifbar.

Höhepunkt der Ausstellung ist eine installative Anordnung von 8 Pastell-Bildern und 8  Figuren in einem Schrank-Altar, „Oratorium“, von 2009, diese war auch auf der Biennale in Venedig 2022 zu sehen. Die Darstellungen thematisieren Übergriffe im menschlichen Zusammensein, Vergewaltigungen im Körperlichen und Seelischen, sie alle verweisen auf kritikwürdige Machtstrukturen in unseren täglichen Erfahrungen, sowohl bei Männern als auch bei Frauen. Die Figuren im Mittelteil, sie tragen Schwesternkleidung, kümmern sich um Kinder, sie scheinen hilflos, abgestumpft, unbeteiligt gegenüber dem Leid und der Hilflosigkeit der ihnen anvertrauten Kinder. Paula Rego stellte dieses Werk 2010 im Foundling Museum in London aus, einem Gebäude, das ursprünglich als Waisen-Hospital gebaut wurde. Sie scheint ihre Sicht auf gesellschaftliche Verwerfungen in dieser Form umfassend zu zeigen. Die Form des Flügelaltars, die in christlichen Kirchen dem Bildprogramm von Heiligen oder Geschichten aus der Bibel vorbehalten sind, kommt hier einem Tabubruch nahe, einer Kritik an unguten Machtstrukturen in den großen Religionsgemeinschaften.

Paula Rego berührt gesellschaftliche Schwachpunkte, die sich meist unsichtbar in Grauzonen abspielen. Ihre Darstellung setzt beunruhigende Gedanken über Zusammenhänge und Hintergründe in Gang.

                                                                   

 

Meine Eindrücke von weiteren Ausstellungsbesuchen finden sich hier

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© Germaine Richter